Eine Küche muss für das Zusammentreffen der verschiedensten Menschen aus verschiedensten Regionen mit verschiedensten Professionen ein spannender und auch kontroverser Ort gewesen sein. Mag der Graf auch noch so prachtvolle Feste abgehalten haben, das einfache Leben, die Menschen mit kleinen und großen Sorgen und Problemen trafen sich in der Küche. Hier wurden Intrigen gesponnen, hier ließ manch einer seine Federn - nicht nur die Hühner oder Fasane, die auf der gräflichen Jagd ihr Leben ließen. Hier gingen Handwerker und Gewerbetreibende aus und ein, ruhten sich aus, begruben Hoffnungen und schmiedeten neue Pläne. Die Grafschaft, Handel, Handwerk und Kultur begünstigten einander - manch eine kleine Gemeinde begab sich in den gräflichen Schutz. Eine gute Regierung wirkte sich schon damals auch positiv auf einen blühenden Handel aus. Schon im 16. Jahrhundert waren in der Gegend um den Vogelsberg verschiedenste Handwerke angesiedelt. Begünstigt durch den vielen Wald konnten hier Betriebe sesshaft werden, die zu ihrer Produktion viel Holz benötigten, so z.B. die Glasherstellung, das Eisenhandwerk und auch die Keramikherstellung. Die Grafen siedelten daher Köhler im Wald an, welche die Holzkohle für die Produktion herstellten. EISENINDUSTRIE Schon im 16. Jahrhundert fand man Eisenerz, welches abgebaut und weiterverarbeitet wurde. Aus dieser Zeit stammen die ältesten Ofenplatten. Im 18. Jahrhundert fand man erneut Eisenerz, das in kleinen Hütten abgebaut wurde. 1707 gründete Friedrich Ernst Graf zu Solms-Laubach die Friedrichshütte mit einem Hochofen und 1709 den "Hessenbrückenhammer", eine Schmiedewerkstatt. Beide Betriebe führte Graf Friedrich Ernst bis 1717 in eigener Regie, danach verpachtete er sie. Ein Nachfolger dieser Hütte war die bis heute bekannte Familie Buderus, deren Nachfolger Römheld auch jetzt noch im Vogelsberg Metallwaren produzieren. GLASBLÄSEREI Auf die Existenz von Glasbläserein weisen heute noch einzelne Flurbezeichnungen um Laubach herum hin. 1683 wurde eine Glashütte in gräflicher Regie geführt, die hauptsächliche Serienfabrikate produzierte, die nach Holland und ins Rheinland exportiert wurden. Aus dieser Produktion sind zwei Stücke hier im Museum erhalten: die grüne Feldflasche, versehen mit verschiedenen Namen der Grafen und eingefasst in vergoldete Silberbänder, und ein Hirschglas aus späterer Zeit. Der letzte Glasbläser starb 1722 in Laubach. In Freienseen existierte eine weitere Glashütte bis ca. 1800. In der Gegend um den Vogelsberg herum siedeln sich aber auch noch andere Betriebe an, die maßgeblich den wirtschaftlichen Aufschwung kennzeichnen: die Porzellanindustrie, die Papierindustrie und auch Weberein. Diese wurden aber nach Festlegung neuer Zollgrenzen und mit einsetzender Industrialisierung verdrängt. Auch in Laubach und Umgebung gab es große Auswanderungswellen der Weber und Weberinnen. Zu all diesen handwerklichen Themen bietet auch das Heimatmuseum von Laubach sehr interessante und gut aufgearbeitete Informationen mit vielen Beispielen. DAS MUSEUM - EIN TREFFPUNKT DER WIRKLICHKEITEN UND LEGENDEN Ein Museum zeigt normalerweise Objekte, die als Zeitzeugen Wahrheiten ihrer geschichtlichen Herkunft vermitteln, darstellen und beweisen sollen. Dafür bürgen Forscher, Wissenschaftler und Ausstellungsmacher. Doch werden die meisten Objekte nur aus einem Blickwinkel befragt und die Geschichten, die sie sonst noch erzählen könnten, bleiben verborgen, bis sich - meist durch Zufall - eine neue Frage auftut. Objekte oder Zeitzeugnisse sagen in jedem Museum nur das aus, was man ihnen zuschreibt. An sich sind sie stumm und können ihre Geschichte nicht mehr erzählen. Auch Film- oder Tondokumente zeigen nie, was sich gleichzeitig hinter der Kamera, hinter dem Mikrofon abspielte; sie geben das Geschehen nur aus dem vorgegeben Blickwinkel wieder. Daran wird deutlich, wie viele Geschichten und Wahrheiten in den Museen verloren gehen und welche Fragen man sich eigentlich nie stellt. So möchte das Schlossmuseum Laubach hier eine Tür zeigen, die in der gräflichen Familie die Schinderhannestür heißt. Mitten im alten Kamin ist eine alte Holztür angeschlagen. Die Zeit, in der sie hergestellt wurde, ist nicht genau festzustellen. Um diese Tür kreist eine Sage, an der sich die Gemüter einzelner Personen erhitzen: die Kerbe im unteren Teil der Tür soll von Schinderhannes voller Wut hineingeschlagen worden sein. Manche Historiker sagen, Schinderhannes habe sich niemals in dieser Gegend des Vogelsberges aufgehalten, andere halten dies sehr wohl für möglich. Die Ausstellungsmacherin hat diese Tür ganz bewusst in die Ausstellung einbezogen. Mit einer Beschreibung oder einer Jahreszahl versehen, vermeint der Besuchende das Objekt in einem Museum zu verstehen. Oft wird er in seinem Wissen bestätigt 'das habe ich in einem anderen Museum auch schon gesehen' - dann wirkt das Objekt glaubhafter oder aber 'ach, das habe ich noch nicht gewusst, das ist ja interessant' und der Betrachter fühlt sich bereichert und belehrt. Doch sprechen die Objekte nur die Sprache, die ihnen in den Mund gelegt wird, können nur die Fragen beantworten, die sie gefragt werden. Der größte Teil der Fragen aber bleibt ungestellt - die meisten Erlebnisse der Objekte bleiben für immer verschwiegen. Eine traurige Tatsache. Die Ausstellung möchte mit dieser Tür, die vielleicht von Schinderhannes bei einem Wutanfall malträtiert worden ist, die Besucher und die Vermittler dazu anregen, sich über die möglichen Wahrheiten der Museumsobjekte zu unterhalten. Nur durch neue Fragen können neue Erkenntnisse gewonnen werden. Neue Fragen entstehen im Kopf, indem man sich Bilder anschaut - "Das Auge schläft - bis der Geist es mit einer Frage weckt" (arabisches Sprichwort). Ein Bild ist auch diese Tür. Und sie hat wahrhaftig sehr viele Geschichten zu erzählen. Schinderhannes hieß mit bürgerlichem Namen Johannes Bückler. Er wurde 1778 im Taunus als Sohn eines "Wasenmeisters" geboren. Dies war die Berufsbezeichnung der Abdecker, d.h. der Menschen, die vom Häuten verendeter und gejagter Tiere lebten. Oft war ihr zweiter Beruf der des Scharfrichters. Dieser Berufsstand lebte außerhalb von Gemeinden und genoss ein schlechtes Ansehen. Auch durften ihre Kinder nur Söhne und Töchter aus anderen Wasenmeisterfamilien heiraten. Sicher ist, dass Johannes Bückler schon in früher Jugend von Kleindiebstählen lebte; er wurde mit 16 Jahren verhaftet und brach aus dem Gefängnis aus. In wie weit die damaligen Gesetze und seine Jugend ihm überhaupt die Möglichkeit boten, sich - aus heutiger moderner Sicht - resozialisieren zu lassen, darüber sind sich Historiker und Germanisten uneinig. Warum er zu einem romantischen Räuberhauptmann stilisiert wurde, der mit edlen Motiven die Reichen bestahl und mit den Armen seine Beute teilte, ist auch nicht hinreichend geklärt. Sicher mögen Zuckmayers Schinderhannes-Roman und die Verfilmung mit Curd Jürgens und Maria Schell dazu ihren Beitrag geleistet haben. Weiter ist gesichert, dass das organisierte Räuberwesen im 17. und 18. Jahrhundert von der Schweiz bis nach Holland links und rechts des Rheins weit verbreitet war und sich auch durch große Prozesse nicht eindämmen ließ. Dies mag durch die Aufteilung der einzelnen Territorien nach der französischen Revolution noch begünstigt worden sein. Im Frühling 1802 gibt Schinderhannes auf und stellt sich den Gendarmen. Er hofft auf eine Begnadigung durch Napoleon und ist geständig. Der Prozess gegen Schinderhannes und 68 weitere Angeklagte findet 1803 im damals französischen Mainz statt; er ist öffentlich. Täglich steigen die Preise der Eintrittskarten - 500 Zuschauer dürfen pro Tag dabei sein. Zwei Tage dauert allein das Verlesen der Anklageschriften. 20 Angeklagte werden schließlich mangels Beweisen frei gesprochen, 20 werden zum Tod durch die Guillotine verurteilt, die anderen werden zu Zuchthausstrafen und Kerkerketten verurteilt. Auch die Hinrichtung findet öffentlich unter großem Zuschauerandrang statt. DAS KRUZIFIX Dieses Kruzifix stammt aus dem 16. Jahrhundert. Es stand in der Kirche in Laubach und wurde bei einem Brand in der Kirche beschädigt. Seit langer Zeit ist es im Schloss an dieser Stelle aufbewahrt worden. Für die Ausstellungsmacherin stellt es den Trost dar, der in der Küche bestimmt oft gesucht wurde. Wir können sicher sein, dass dieser Raum mehr Geheimnisse aufbewahrt, als manch ein anderer Raum in diesem Schloss.